Politik und Gesellschaft
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Der Kosmos lenkt und
denkt. Oder: der Grosse Plan

Von |F|E|L|I|X|| E|P|P|E|R

Weltverschwörung? Geheimgesellschaften? Esoterisch-okkultes Wissen? Die "Protokolle der Weisen von Zion"? Was soll das? Nur das Problem von ein paar Spinnern, die unter Verfolgungswahn leiden und für Nichtbeteiligte Anlass für ein wenig Gänsehaut? Nein, die Sache ist alles andere als harmlos. Bücher, welche alte Verschwörungstheorien wieder ausgraben, boomen. Ihr Inhalt: im besten Fall dumm. Oft sind aber gefährliche Geschichtsfälscher am Werk, wie etwa Jan van Helsing.

 

Infos zu Van Helsings «Geheimgesellschaften»

Der Autor: Jan van Helsing, 29, kommt aus der autonomen Düsseldorfer Hausbesetzerszene, Autor der beiden Bände "Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert. Betreibt zusammen mit Ulrich Heerd - er ist Ortsvorsitzender der Grünen - einen Verlag. U. a. sollen dort die "Protokolle der Weisen von Zion" wiederveröffentlich werden.
Das Buch: Die "Geheimgesellschaften" erschienen 1994 bis 95. Gesamtauflage in der BRD 70'000 (CH: 4'000). Im Januar 1996 Anzeige eines Basler Rechtsanwalts gegen die Buchhandlung Jäggi, wegen Verletzung des Antirassimusgesetztes.
Die Promoteure: Die Bücher wurden v.a. in esoterischen Buchhandlungen vertrieben. Eine Verkäuferin in der Buchhandlung "im Licht" Zürich auf den Vorwurf des Antisemitismus: "Das wird man wohl noch sagen dürfen. Es sind ja die Juden, die das Geld und die Macht haben." Emil Rahm, Rimuss-Produzent, hat sich seinerzeit stark gemacht gegen das Antirassismusgesetz. In seinem Infoblattes "MemoPress", kämpft er gegen eine "Euro- und Weltdiktatur" und vertreibt Verschwörungsliteratur, wie G. Allens "Die Insider" und "vermittelt" auch "die Geheimgesellschaften", wenn auch nicht "im regulären Sortiment". Er empfiehlt dieses "interessante Buch nur mit Vorbehalten". So abgesichert glaubt er der Strafanklage wegen Verstosses gegen das Antirassimusgesetz gelassen entgegensehen zu können.

Erschienen 1996 im Toaster, Zürcher Jugendzeitung.

Kleine Anmerkung zehn Jahre danach
Wenig gibt's inhaltlich zu ergänzen. Die «Qualität» von Van Helsing & Co.ist dieselbe geblieben, nur sind inzwischen die Verteilkanäle recht eigentlich explodiert (wö wö wö).

Und … Ja: Van Helsings Bücher liegen heute neben der Kasse grosser Buchhandlungen (Lüthi, Solothurn), freundliches Personal verweist auf Kunden, die das eben wünschen… und sowieso sei das nicht ihr Ressort.

 


 

Die Welt ist kompliziert, Politik eine oft schwer durchschaubare Angelegenheit. Und was ist die Rolle des einzelnen Menschen in diesem Spiel? Was habe ich selbst damit zu tun? Fragen über Fragen. Und so wenig Antworten. Die Vergangenheit: ein Bild des Schreckens. Zwei Weltkriege in Europa; der Wahnsinn der faschistischen Herrschaft in Deutschland von 1933 bis 45, der sechs Millionen Jüdinnen und Juden vernichtete. Hundertausende von Sinti und Roma (die sogenannten "Zigeuner"), Kriegsgefangene, politische Gegner, Behinderte, etc. wurden in die KZ getrieben und umgebracht. Doch wie sollen Worte das Grauen sichtbar machen, das sich in den Lagern abspielte? Das mindeste ist, sich dafür einzusetzen, dass wir nicht vergessen, was damals geschah.

Die Vergangenheit geleugnet und umgedeutet
1994 haben die SchweizerInnen mit knapper Mehrheit (55%) dem Antirassismusgesetz zugestimmt. Strafbar sind neben rassistischen Äusserungen in der Öffentlichkeit insbesondere auch die Leugnung der nationalsozialistischen Verbrechen. Eine kleine, aber aktive Schar sogenannter "Revisionisten" betreibt aber weiterhin ihr widerwärtiges Geschäft. Ihr Ziel ist die Normalisierung der Vergangenheit: Vergasungen in den Konzentrationslagern habe es nie gegeben und im übrigen hätten sich die "Juden ihre Verfolgung selbst zuzuschreiben". Hätten sie doch in einer Geheimkonferenz beschlossen, die "jüdische Weltherrschaft" durch "Gewalt, Betrug und List" zu erringen. Von dieser angeblichen Geheimkonferenz existiere eine "Niederschrift", behaupten die Revisionisten.
Diese antisemitische (=judenfeindliche) Hetzschrift mit dem Namen "Die Protokolle der Weisen von Zion" tauchte erstmals anfang dieses Jahrhunderts in Russland auf. Sie ist ein überaus widersprüchliches Machwerk, das alle möglichen Aussagen vereint. Unter anderem nehmen sich die vermeintlichen Verfasser vor, den Antisemitismus zu schüren, um die mittellosen Juden auf ihre Seite zu bringen und bei den Nichtjuden ein Schuldgefühl angesichts ihrer Not zu erzeugen.
Die "Protokolle" wurden 1919 ins Deutsche übersetzt und übten grossen Einfluss auf Adolf Hitler aus. Sie wurden zu einem Grundpfeiler der nationalsozialistischen Weltanschauung. Als Fälschung wurde die Hetzschrift schon 1921 entlarvt. Ein Journalist der Londoner "Times" wies nach, dass die Protokolle wortwörtlich auf einer Satire auf Napoleon III aus dem Jahre 1865 und einem Schauerroman aus der gleichen Zeit basieren. In den 30er Jahren bestätigten Schweizer Gerichte die Protokolle als Plagiat und Fälschung.* Trotzdem wurden sie eines der Motive für Hitlers Kriegserklärung an die "jüdisch-imperialistische Mächte". Und heute dienen sie als "Beweis" dafür, dass die Juden an ihrer Vernichtung selbst schuld seien.

Der "Grosse Plan"
Van Helsing nimmt die "Protokolle" als Ausgangspunkt seiner wahnwitzigen Konstruktionen. Für ihn ist es unwichtig, ob es die jüdischen Bankiers oder die Zionisten (setzten sich für einen Staat Israel ein) sind, die den Plan verfolgen. "Egal, wer dahinter stehen mag, der Plan wird IM AUGENBLICK ANGEWENDET." Sowohl der Kommunismus, als auch der Kapitalismus seien von Geheimbünden inszeniert worden, um die Welt ins Chaos zu stürzen; alle wichtigen Ereignisse der Geschichte werden in dieser Weltsicht zu Schachzügen der "Illuminaten" (=die Eingeweihnten). Immer wieder, wenn der Autor einer neue Verstrickung geknüpft hat, beeilt er sich in "Anmerkungen des Verfassers" den Vorwurf von Antisemitismus und Rechtsextremismus abzuschütteln. Wenn er aber die okkulten Grundlagen des Nationalsozialismus nachzeichnet, und alle möglichen Legenden anführt - etwa die, dass Hiltler gar nicht tot sei -, so wird jeder Ansatz einer wirklichen Auseinandersetzung mit der Geschichte im Keime erstickt. Alles könnte möglich sein. Wirre Theorien von Überlebenden eines arischen Urkontinents, die im Erdinnern hausen, sind in den Augen des Autors keine Gehirngespinste von Nazis, sondern durchaus ernstzunehmen. Genauso wie untertassenförmige "Jenseitsflugmaschinen"... Dass heute, laut van Helsing, sowohl Neonazis, wie die autome "Antifa" von den Illuminaten finanziert werden, kann einen eigentlich nicht mehr überraschen. Wenn der grosse Plan existiert, dann muss mit ihm alles erklärbar sein.

Das Schicksal begreifen lernen
Am Ende des ersten Bandes tischt uns van Helsing sein "Gegengift" auf. Doch der Widerstand gegen die Machenschaften der Illuminaten läuft auf esoterische Allgemeinplätze hinaus. Mit Bezug auf "Autoritäten" wie Thorwald Detlevsen (Autor des Buches "Schicksal als Chance") wird das gute alte Grundprinzip "wie oben, so unten" genannt. Demnach gibt es keinen Zufall. Alles ist Teil einer grossen kosmischen Ordnung, die sich in jedem einzelnen Menschen spiegelt. Wer schlechte Gedanken denkt, wird von ihnen heimgesucht. Eine Frau also, die Angst vor einer Vergewaltigung hat, sendet damit einen "Befehl für das Unterbewusstsein und den Kosmos" aus und der "wird zu Hundert Prozent ausgeführt." Diese Theorie lenkt völlig ab vom Vergewaltiger und schiebt alle Schuld der Frau zu. Nach van Helsing haben wir uns unsere Schicksalsschläge selbst "erarbeitet", meist in früheren Leben. Es gilt das Gesetz der Wiedergeburt und das Gesetz des Ausgleichs: Wem es in diesem Leben schlecht ergeht, büsst für Missetaten früherer Leben. Wir müssen unser Schicksal nur begreifen lernen. Wer sich etwa politisch und sozial engagiert, ist selber schuld und verhindert womöglich, dass jemand sein Karma selbständig abarbeiten kann...
Diese esoterischen "Lehren" laufen darauf hinaus, dass in unserer Gesellschaft alles beim alten bleiben wird. Ausbeutung, Hunger, Krieg - all das Üble, das nicht zuletzt Leuten wie van Helsing neuen Stoff für wahnwitzige Verschwörungstheorien liefern wird. Damit hätte der Kreis sich geschlossen... allerdings kein Kreis der "kosmischen Harmonie", sondern der Dummheit.

* Nicht nur die "Protokolle der Weisen von Zion", sondern eine grosse Anzahl anderer Mythen über die Vergangenheit werden von kompetenten Fachleuten kritisch durchleuchtet in: Legenden, Lügen, Vorurteile. Ein Wörterbuch zur Zeitgeschichte, herausgegeben von Wolfgang Benz, dtv 1992.

 

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