Klassiker:
Die Macht der Fantasie
Sesé ist fünf Jahre alt und entdeckt die Welt. Doch das
Leben als Sohn einer armen Familie in Brasilien ist nicht einfach. Der
Vater ist arbeitslos geworden, und es gibt nicht einmal Weihnachtsgeschenke;
die Mutter kommt jeden Tag todmüde aus der Fabrik. Immer wieder setzt
es Prügel für den kleinen Sesé. Dabei ist er ein aufgeweckter
Junge, der schon lesen kann und ein Jahr früher als die anderen Kinder
in die Schule geht. (Aber vor allem darum, damit er nicht die ganze Nachbarschaft
mit seinen Streichen ärgert.)
José
Mauro de Vasconcelos Geschichte dieses Jungen, der zugleich frühreif
ist und noch ganz Kind, bezaubert. Sesé ist als Schuhputzer unterwegs,
als Strassensänger oder Sammler von Worten bei seinem Onkel Edmundo.
Er entdeckt im Hühnerhof einen ganzen Zoo und spricht mit seinem Orangenbäumchen.
Als er den «besten Menschen der Welt» den dicken Portuga, kennen
lernt, glaubt er, dass seine glücklichste Zeit begonnen hat… «Wenn
ich einmal gross bin», erstmals 1968 erschienen und jetzt als Taschenbuch
neu aufgelegt, ist ein wunderbar trauriges Buch: voller Fantasie und Traurigkeit
und offen für die Schönheit des Lebens.
José Mauro de Vasconcelos, Wenn ich einmal gross
bin. Roman, aus dem Portugiesischen von Marianne Jolowics. Verlag Econ
& List München 1999, 140 Seiten, 12.-- sFr.
Unionsverlag Reihe «metro»:
Ein guter Bulle
Der
kleine Zürcher Unionsverlag ist bekannt für den speziellen Kriminalroman.
Seien es die Wachtmeister-Studer-Romane von Friedrich Glauser, die nun
erstmals in der Originalfassung als Taschenbuch vorliegen oder Chester
Himes böse Gangstergeschichten aus dem rassistischen Amerika: wer
zugleich spannende und engagierte gesellschaftskritische Literatur lesen
will, greift zu einem der schönen UT-Taschenbücher. Nun lanciert
der Verlag die neue Reihe «Metro» mit zehn Romanen aus den
Grossstädten dieser Welt. Meine erste Lese-Station ist Marseille und
Jean-Claude Izzos Roman «Total Cheops». Ob dort einer Polizist
wird oder Gangster ist nur ein biographischer Zufall, sagt Fabio Montale.
Er ist ein «Bulle», der seine Herkunft und seine alten
Freunde nicht vergessen hat. Als zwei seiner engsten Jugendgefährten,
beides kleinen Ganoven, ermordet werden und Fabio der Sache nachgeht, stösst
er auf Verstrickungen, gegen die er vorerst machtlos ist – bis er es selbst
mit dem Gesetz nicht mehr sehr genau nimmt. In der pulsierenden Stadt Marseille
geht alles drunter und drüber, eben «total Cheops», wie
die Kids vom Hafen rappen. Izzo ist ein engagierter Schriftsteller, der
sein geliebtes Marseille nicht der Mafia und den Rechtsextremen überlassen
will. Der Krimi ist sein Mittel, die komplexe Wirklichkeit dieser schillernden
Stadt in den Griff zu bekommen. Man darf auf den nächsten Krimi mit
Fabio Montale und die anderen «Metro»-Bände gespannt sein.
Jean-Claude Izzo, Total Cheops. Roman aus dem Französischen
von Katarina Grän und Roland Voullié. Unionsverlag Zürich
2000, 256 Seiten, 16.90 sFr.
|