Politik und Gesellschaft
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Die Götter des New Age

Von |F|E|L|I|X|| E|P|P|E|R

Wiedergeburt, Karma, New Age: Manager – und nicht nur sie – strömen zuhauf in esoterische Seminare, an denen sie sich wieder für die Ellbogengesellschaft fitmachen. Auch in der alternativen Szene floriert das Geschäft. Viel zu wenigen ist bewußt, wo die Wurzeln der Esoterik liegen und in welche Richtung sich große Teile der Bewegung entwickeln.
 

 

Wir sollten versuchen, schlechte politische Zeiten wenigstens ohne verblödeten Kopf zu überstehen
Jutta Ditfurth
Als Casaubon, der Erzähler in Umberto Ecos Roman «Das Foucaultsche Pendel» in den siebziger Jahren nach Italien zurückkehrt, muss er feststellen, dass fast alle linken Buchhandlungen zu esoterischen Läden mutiert sind. Die Welt des Okkulten und Magischen, die er in Brasilien kennengelernt hatte, war nach Europa rübergeschwappt. Man las nicht mehr Marx und Gramsci, sondern beschäftigte sich mit Schamanen, Rosenkreuzern, Wiedergeburt und dem goldenen Zeitalter. 

Und das Geschäft boomt weiter: In Zürichs größter Buchhandlung findet frau zur Zeit fünfmal mehr Bücher in der Sparte Esoterik als im Regal nebenan, wo die philosophischen Autorinnen liegen. Im A-Bulletin, einem alternativen Blättchen, das im redaktionellen Teil sehr kritisch über die Endlagerung von radioaktiven Abfällen berichtet, findet sich bei den Inseraten kein einziger politischer Kurs. Dafür darf «meditativ gefastet» oder übers Feuer gelaufen werden. Eine «Reinkarnationstherapie» oder ein intensives «Enlightment» wird angeboten. Und Frauen können «im Wald tanzen». Was steckt hinter diesem Boom, dem sich immer mehr Leute anschließen, und was hat das mit der Zeit zu tun, in der wir leben? 

Madame Blavatskys «Geheimlehre»

«Esoterik» ist ein alter Begriff, der sich etwa als «die innere, geistige Welt» im Gegensatz zur «Äußeren materiellen Welt», der «Exoterik», umschreiben lässt. Alle großen Religionen, wird in themenbezogenen Werken immer wieder betont, haben ihre eigene «Esoterik». Im späten 19. Jahrhundert ist um diesen Namen eine eigene Strömung entstanden. Die Esoterik entzieht sich der rationalen Auseinandersetzung. Ihre Ideologieelemente werden in Zeremonien und Ritualen erfahren, nicht verstandesmäßig gelernt. Die Anhängerinnen der Esoterik glauben, dass ein «New Age,) bevorsteht. Die Menschheit sei an der Schwelle des Übergangs vom Fische- zum Wassermannzeitalter. Wer sich intensiv mit sich selbst beschäftige, die elitären esoterischen Regeln immer und immer wieder praktiziere und fest an sie glaube, werde an diesem goldenen Zeitalter teilhaben. 

Nebst verschiedenen Okkultzeitschriften hat vor allem eine Frau die moderne Esoterik maßgebend geprägt: Helena Petrowna Blavatzky. Sie hat in ihrem Buch «Die Geheimlehre» (1888) die wichtigsten Elemente der modernen Esoterik dargelegt. Bei aller internen Zerstrittenheit der verschiedenen Strömungen beziehen sich doch alle Jünger auf diese Glaubenssätze. Es sind dies: Die Idee von Karma und Wiedergeburt, die sogenannte «Wurzelrassenlehre» und die Vorstellung eines herannahenden «Neuen Zeitalters». 

Auschwitz als «Feuer der Reinigung»

Die hinduistische Kastenordnung vermengt sich mit sozialdarwinistischen Evolutionismus. Jede Handlung wirkt in die Zukunft, Leid im Leben ist Ausdruck eines schlechten Karmas und Konsequenz von Schuld in einem früheren Leben. Diese Auffassung führt zur politischen Apathie, die sich bis zum blanken Zynismus steigern kann. «Man darf sich nicht engagieren, um nicht das Karma zu stören.» EsoterikerInnen machen sich wenig Gedanken darüber: «Die Lehre von der Wiedergeburt ist die unbedingte Konsequenz aus den Thesen des esoterischen Weltbetrachtung», schreibt etwa H. D. Leuenberger in seiner Einführung «Das ist Esoterik» aus dem Jahr 1985. Auf die Spitze treibt es die Anthroposophin Alice Ann Bailey, die 1949 die Ermordung von sechs Millionen Juden im Nationalsozialismus als «Feuer der Reinigung» rechtfertigte. Sie hätten da ihr schlechtes Karma, den Gottesmord, «aufgearbeitet». 

Rudolf Steiner entwickelte die Anthroposophie in enger Anlehnung an die Theosophie Blavatzkys. Menschen unterscheidet er nach «Wurzelrassen». Nach den ersten beiden menschlichen «Wurzelrassen» kamen die Lemurier, die instinktiv handelten. Dann die «Atlantier», die hatten eine solche «Lebenskraft», dass sie durch Gedankenkraft «Korn zum Wachsen» bringen konnten und sich selbst in geringer Höhe in «über dem Boden schwebenden Fahrzeugen, mit Pflanzensamen angeheizt», fortbewegten. Aus den besten «Atlantiern» wuchsen die «Arier». Erst sie haben «die vollständige Ausprägung der denkenden Kraft, mit allem, was dazu gehört.» Demnächst soll die sechste «Wurzelrasse), auftreten, deren Entstehungsort die USA und deren Ausgangspunkt die «New Age-Bewegung» sein könnte. 

Steiner hielt trotz anderer, vergleichsweise «aufgeklärter», Ideen am theosophischen Rassismus fest und baute ihn durch deutschtümelnde Äußerungen teilweise sogar aus. Den ersten Weltkrieg interpretierte Steiner als internationale Verschwörung gegen die spirituelle Sendung Deutschlands und den Krieg allgemein – in Jüngerscher Manier – als «Lehrmeister der Spiritualität». 

Heute werden Steiners Ideologien an gewissen Waldorfschulen sachte in Frage gestellt. Es gibt Steiner-Schulen, an denen Eltern Einfluß auf den Lehrinhalt nehmen können, antwortet der Esoterikexperte Eduard Gugenberger auf die Frage, ob Eltern ihre Kinder weiterhin dorthin schicken sollten. Doch fließt die Anthroposophie, als Geheimlehre, nur in den Unterricht ein und wird nicht eigentlich gelehrt. «Es kommt», so Steiner, «nicht darauf an, die Lehren der Geisteswissenschaft verstandesmäßig zu beherrschen, sondern Gefühl, Empfindung, ja das ganze Leben mit ihnen zu durchdringen.» Dass an den staatlichen Schulen – etwa im Biolologie-Unterricht – ebenfalls rassistisches Gedankengut miteinfliesst, mache die Sache nicht besser, meint Gugenberger. 

Die Anthroposophen wurden von den Nationalsozialistinnen von Anfang an verfolgt, was von Steiner-Anhängern oft als Beweis für die Fortschrittlichkeit dieser Lehre angesehen wird. Dieser Sachverhalt darf aber nicht über die gemeinsamen Wurzeln der beiden Ideologien hinwegtäuschen. Hitler ließ zudem viele seiner eigenen MitstreiterInnen und WegbereiterInnen verfolgen und um bringen. So wurden große Teile der SA ausgeschaltet, gerade, weil sie eine Konkurrenz innerhalb der Bewegung darstellten. Um den Pakt mit den Kirchen nicht zu gefährden, trat in der NS-Ideologie der Okkultismus nach der Machtübernahme in den Hintergrund. 

Das Light Age – eine strahlende Zukunft

Es gibt EsoterikerInnen und Rechte, die sich gegen ökologische Zerstörung und etwa die Kernkraft wenden. Für sie ist aber «das falsche Denken» (ein «kranker Geist») und die angebliche «Überbevölkerung» und niemals der Kapitalismus verantwortlich dafür. Andere glauben gerade an die Beschleunigung der esoterischen Evolution durch radioaktive Strahlung aus AKWs oder sogar Atomwaffenstandorten. Die Findhorngesellschaft, die – wie die meisten großen esoterischen Gemeinschaften – maßgebend von der Industrie gesponsort wird, errichtete ihren Hauptsitz mit Absicht an einem Nato-Raketenstützpunkt in Schottland und hält dort Seminare ab, b denen Kinder buchstäblich im atomar verseuchten Sand wühlen. 

Rainer Langhans, früher Mitbewohner der berühmten Kommune 1 in Berlin, meint zum Thema Gentechnologie: «Wenn du weiter oben auf dem Baum sitzt [ ... ] siehst du den größeren Zusammenhang und siehst: Es ist gut.» Vom Baum aus sieht er, wie «diese rassischen Geschichten», die die Nazis «durch Ausrottungs- und Züchtungstechniken» betrieben haben», heute mit den «feinen Methoden der Gentechnologie» erreicht werden. «Unsere Aufgabe müßte sein, hinter diesen ganzen Schreckensbildern ihren utopischen Gehalt [ ... ] zu erkennen [ ... ] noch in den fürchterlichsten Verzerrungen das Schöne zu entdecken [ ... ] Was will die Gentechnologie? Sie will auf der grobstofflichen Ebene einen ‘neuen Menschen’ realisieren, so schön wie irgend möglich.» 

Langhans ist einer der vielen früheren Linken, die sich der irrationalen bis faschistoiden Esoterik angeschlossen haben. Prominentestes Beispiel ist Rudolf Bahro. Er saß im DDR-Knast, begann sich, nachdem er die Grünen verlassen hatte, mit Spiritualismus zu beschäftigen und kritisierte die «gesellschaftliche Unverbindlichkeit und Ziellosigkeit» der Esoterik – sein politisches Ziel tendiert nach rechts: «Kein Gedanke verwerflicher als ein neues anderes 1933? Gerade der aber kann uns retten. Die Ökopaxbewegung ist die erste deutsche Volksbewegung seit der Nazibewegung. Sie muss Hitler miterlösen.» Und Bahro spitzt seine Aussagen zu: «Eigentlich ruft es in der Volkstiefe nach einem grünen Adolf.» 

Eine spiritistische Gegenkultur?

Gugenberger, der seit den siebziger Jahren in der Indianerbewegung engagiert ist, lehnt Spiritualität nicht ab, sondern hält sie in einer materialistisch orientierten Welt für nötig. Den Naturvölkern, für deren Rechte er sich einsetzt, hat man aber nach dem Land und den Rohstoffen nun auch noch die Spiritualität geklaut. Kaum einer der «Schamanen», die Managerinnen zu einem inneren Gleichgewicht verhelfen, interessiert sich für das Schicksal der Indianerinnen, die sich gegen den Uranabbau auf ihrem Stammesgebiet wehren. Die Politisierung der Esoterik findet von rechts statt. Gugenberger beklagt, dass die dogmatische Arbeiterinnenbewegung um die Jahrhundertwende die naturverbundene Festkultur, etwa die Fruchtbarkeitsriten und die Walpurgisnacht, hinausgedrängt hat und plädiert heute für eine Verbindung von Spiritualität und Vernunft. Ob das bei dem -vor allem von diesem Autor herausgearbeiteten Zustand der Esoterik heute möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Was zuallererst not tut, ist eine Kritik an den herrschenden Zuständen. Es gibt die schnellen Lösungen nicht, die das «Neue Denken» verspricht. Kein Mensch hungert weniger auf der Welt, nur weil die Menschen darüber sprechen. 

Jutta Ditfurth schreibt: «Die objektive Aufgabe der Esoterik besteht heute wieder in der Umwandlung und Anpassung gegenkultureller Bewegungen, die in Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse ausarten könnten ' an den Kapitalismus und seine Verwertungsnotwendigkeiten. Es geht nicht um Naturbewusstsein, Magie und kosmischen Paradigmenwechsel, sondern um Politik, Verblödung, Entpolitisierung, Anpassung und damit letztlich um gar nicht übersinnliche Herrschaftssicherung.» 

Felix Epper 

(Der Text ist 1995 in der Tageszeitung «Berner Tagwacht» und in der Wochenzeitung «Zürcher Studentin» erschienen.

Literatur:
Eduard Gugenberger, Roman Schweidlenka, Mutter Erde, Magie und Politik, Zwischen Faschismus und neuer Gesellschaft, Nachdruck der Ausgabe von 1986. 

Eduard Gugenberger, Macht der Sehnsüchte, Esoterik, Mythen und Bewegungen, in: Widerspruch 26 / 1993 

Jutta Ditfurth, Feuer in die Herzen, Plädoyer für eine ökologische linke Opposition. Carlsen 1992 

Ökologie und Spiritualität zwischen Nazifaschismus und herrschaftloser Gesellschaft, Mehrteilige Serie im Radio LoRa, ausgestrahlt 1993, zu bestellen bei LoRa, Postfach 765, 8026 Zürich.

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