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Einfach so

Herisau. 1998

 


 

Gestern haben wir uns wieder einmal darüber beraten, doch auf den anderen Hügel zu steigen. Wir werden später unsere Spaziergänge als endlose bezeichnen, jeder für sich, ohne es vom anderen zu wissen. Die Trennung mußte früher oder später kommen. Ahnungen waren hierfür ein zu schwaches Wort, sogar angesichts der Tatsache, daß wir nie darüber sprachen. Nach Jahren wäre es uns beiden dann klar, doch heute ist Montag, und gestern hast du gesagt, wie es sein würde, leer, aufgebraucht, den Kiesweg entlangzugehen, in unbestimmter ZukunftEin kleines, langsam fahrendes Auto überholte mich dann, eine Staubwolke hinter sich herziehend. Der Staub erreichte knapp meine Nase, und der Kies knirschte wie Schnee. Beim Tor eine schnelle Bewegung um die eigene Achse, und ich machte mich davon. Kein lebender Mensch spricht in tief in der Vergangenheit abgesackten Konjunktiven. Ich habe mir geschworen, jede deiner Reden zu erfinden, würde ich es einmal wagen, sie aufzuschreiben -, Mussolini hatte einst als einfacher Wanderarbeiter am Herisauer Viadukt mitgebaut, Fragen eines lesenden Arbeiters, natürlich war es die Politik, die uns entzweite, doch sprechen wir nicht davon, um wirklich davon zu sprechen. (Was entzweit, wenn nicht solche Sätze?) Auf meiner Landkarte liegt Herisau zwischen zwei Hügeln. Auf einer Wiese an der Kuppe des Rosenbergs kann man sich in den Schnee legen. Dort waren wir oft. Den anderen Hügel sieht man beim Abstieg zum Bahnhof. Doch wer besucht da wen in der Anstalt? – – – Sprechen die Leute – und das nicht nur die auf dem Land – von der Anstalt, flattern die Jahre wie Herbstblätter im Wind. Eine Angst macht sich breit, ein Gerede, daß sie einen geholt haben, einen, der mitten unter ihnen war. Versorgen. «Zuviel Schnaps trinken, das tun wir alle Was wäre gewonnen, wenn sie so miteinander sprächen? Es hätte ein Spiel sein können, eine Wette zwischen uns zwei. Du oder ich? Vielleicht dachte einer von uns mal daran, es vorzuschlagen, eine Dummheit wie die schwarzen, romantischen Gespinste eines gemeinsamen Todes von Liebenden. Damals ein insgeheimer Neid oder Haß, zu Boden getreten erst in langen Märschen auf die Appenzeller Hügel. Einen Mann zu treffen, ihn zu mögen und sich nicht zu verlieben, das kam nicht oft vor. Doch ich liebte die Frau, die du liebtest. (Auch eine Brücke.) Beim japanischen Go-Spiel muß der Spieler mit den besseren Voraussetzungen zu Beginn eine Anzahl Steine des Gegners auf dem Brett zulassen. «Natürlich steigen deine Chancen, in der Psychiatrie zu enden, wenn dir das Geld ausgeht, auch die Fürsorge zahlt irgendwann nicht mehr Max Frisch erzählt in Montauk von der Scham, Geld anzunehmen von einem Freund. Ich hätte damals nicht gewußt, welcher Gewinn dem Verlierer winken sollte. Ich besuch dich in der Anstalt, wenn es soweit ist, dann sehen wir weiter. Wirst du dann immer noch behaupten, der Duce hätte am Viadukt mitgebaut? Ich werde von nichts anderem mehr sprechen. Wenn du dann in mein Zimmer kommst im Hause I, weiß ich auch, wann die ganze Brücke zusammenbrechen wird. In genau drei Tagen. Man kann als Kind zu Gott beten, er mögen einem beide Hände abfaulen lassen. QED – was zu beweisen war – knirscht die Kreide in meinem Kopf. Ich habe erst mit sechzehn das erste Mal «Gott-verdamm-mich gesagt und hasse die Mathematik noch immer. Der Aufsteig von Herisau her zur Anstalt führt über eine lange Treppe, Geländer rechts und links, wie das verhaßte Turngerät. Die Gebäude erscheinen in naturhafter Symmetrie – Schneeflocken, das Wort muss noch in diesem Anschnitt geschrieben sein -, ich hangle mich hoch, denkst du im Zimmer 23 oder 17 des Hauses I, vielleicht jeden Tag, denke ich jetzt, denkst, du, denn natürlich hast du gewonnen, du hast sie schließlich mal gehabt, das war doch alles, was zählte, eine solch lange Zeit lang. Aber lustig ist es doch, denke ich: Wie viele Monate, gar Jahre ihr zusammen wart, nie habt ihr miteinander geschlafen, und immer hast du es dir gewünscht. Ich nie. Ich stelle mir vor, ich würde, wenn sie mich unter die Decke hätte schlüpfen lassen, ganz fest an Robert Walser denken, an eine Geschichte, wo er sich, weil es sich nicht regen will – er es sich nicht regen lassen will – , ihr zum Geschenk sein nutzloses Teil abschneidet. Einfach so.

Felix Epper

 

Erschienen in der Zeitschrift Entwürfe, September 1998

 

 

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